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Am 22. September 2021 hat die WHO die Welt mit ihrer Vorstellung von gesunder Luft konfrontiert [1]. Dabei hat sie mit dem Beitrag von Forschenden des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH), basierend auf der aktuellen Evidenz aus hunderten von epidemiologischen Studien, neue Luftgüteleitlinien (AQG) publiziert. In systematischen Übersichtsarbeiten zu Sterblichkeit, Notfällen wegen Asthma oder Herzinfarkten haben die Forschenden festgestellt, dass die Evidenz für negative Gesundheitsfolgen selbst bei tiefen Belastungen noch besteht. Sie fordern daher für den Gesundheitsschutz, die langfristige Schadstoffbelastung mit Feinstaub (Partikel mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometern oder weniger PM2,5) auf 5 μg/m3 pro Jahr zu reduzieren, jene mit NO2 auf 10 μg/m3 und jene mit Ozon auf ein Mittel von 60 μg/m3 in den warmen Monaten. Diese Werte sollen gemäss den Expertinnen und Experten eingehalten werden, um die Bevölkerung vor schädlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung zu schützen.

Empfohlene AQG-Werte für 2021 im Vergleich zu den Luftgüteleitlinien von 2005 [1]

Luftverschmutzung und Gesundheitsfolge

Luftverschmutzung ist die Verunreinigung der von uns eingeatmeten Innen- und Aussenluft durch chemische, physikalische oder biologische Wirkstoffe mit potenziell bedrohlichen Folgen für die Gesundheit des Menschen und des Ökosystems. Zu den Schadstoffen, bei denen es die deutlichsten Belege für gesundheitliche Bedenken gibt, zählen Feinstaub (PM), Ozon (O2), Stickstoffdioxid (NO2) und Schwefeldioxid (SO2) sowie Kohlenmonoxid (CO). Die durch Feinstaub bedingten Gesundheitsrisiken sind für die öffentliche Gesundheit von besonderer Bedeutung. PM2,5 und PM10 können bis tief in die Lunge vordringen, ultrafeine Partikel können sogar in den Blutkreislauf gelangen. Es gibt mittlerweile viele biologische Wirkungsmechanismen, welche die beobachteten Gesundheitseffekte in den Atemwegen, dem Herz-Kreislauf-System und anderen Organen erklären [2]. 2013 wurde Aussenluftverschmutzung und Feinstaub vom Internationalen Krebsforschungszentrum der WHO (IARC) als krebserregend eingestuft. Die lufthygienische Dokumentationsstelle am Swiss TPH hat die gesicherten Gesundheitsfolgen der Luftschadstoffe in einer Infografik zusammengetragen (Grafik 1 [3]). Es gibt also mittlerweile kein Organsystem, welches nicht von den schädlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung betroffen wäre.

Grafik 1. Gesicherte Gesundheitsfolgen der Luftschadstoffe.

Luftverschmutzung stammt aus einer Vielzahl von natürlichen und anthropogenen (vom Menschen verursachten) Emissionsquellen. Die wichtigsten Quellen der anthropogenen Luftverschmutzung in der Schweiz umfassen den motorisierten Verkehr (NO2, PM), die Holzverbrennung (PM), die Landwirtschaft (NH3, ein Vorläufer von Feinstaub, PM) und die Industrie (flüchtige organische Kohlenwasserstoffe VOC, NOX, PM) [4].

Luftverschmutzung in der Schweiz

Nun sind Regierungen weltweit gefordert, ihre Anstrengungen zur Reduktion der Emissionen zu intensivieren, um die Luftbelastung kontinuierlich zu verringern. Die Schweiz war in den letzten 30 Jahren sehr erfolgreich und konnte die Luftbelastung aller regulierten Schadstoffe bis auf Ozon unter die in der Schweiz heute geltenden Grenzwerte reduzieren (Grafik 2 bis 4 [5]).

Massgeblich zu diesem Erfolg hat die Schweizer SAPALDIA-Kohortenstudie beigetragen (siehe Kasten). Sie untersucht seit den frühen 1990er Jahren die Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und anderen Faktoren und der Gesundheit in der Schweizer Bevölkerung und konnte Politikerinnen und Politiker überzeugen, ambitionierte Ziele zu formulieren und griffige Massnahmen zu ergreifen.

Die Herausforderung heute besteht darin, Synergien von Klimaschutz und Lufthygiene zu nutzen und klimaneutrale Strategien nicht zu Lasten der Luftqualität zu verfolgen. Die Förderung der klimaneutralen Holzverbrennung kann ohne weitere Massnahmen zu einer Zunahme von Feinstaub und krebserregenden Substanzen führen, was Erfolge der Luftreinhaltepolitik gefährdet. Des Weiteren sollte das Mobilitätsverständnis ganzheitlich weitergedacht werden hin zu lebenswerten Städten statt nur die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte als Lösung zu betrachten. Denn auch Elektroautos emittieren noch gesundheitsschädliche Nicht-Abgas-Bestandteile durch Brems- und Reifenabrieb [6] und verbrauchen eine grosse Fläche.

Bedeutung der Luftverschmutzung

Die wichtigste und wirksamste Massnahme zur Bekämpfung der luftbedingten Krankheitslast ist die nachhaltige Verbesserung der Luftqualität durch Verminderung der Emissionen. Ein wichtiges Instrument ist die Festlegung von bindenden Luftqualitätsgrenzwerten. Die USA und Europa haben zudem gezeigt, dass Umwelt- und damit Gesundheitsschutz mit wirtschaftlichem Wachstum vereinbar ist [7]. Das individuelle Risiko, durch Luftverschmutzung zu erkranken, ist zwar klein gegenüber anderen Faktoren wie beispielsweise dem Lebensstil (Rauchen, Bewegung). Da jedoch alle Personen von Jung bis Alt ständig dieser Belastung ausgesetzt sind, summieren sich diese Risiken zu einem grossen Risiko auf Bevölkerungsebene. Weltweit ist die Luftverschmutzung der wichtigste Umweltrisikofaktor, verantwortlich für über 6,5 Millionen vorzeitige Todesfälle [8]. Die europäische Umweltagentur beziffert in ihrer Gesundheitsfolgenabschätzung für das Jahr 2018 die Zahl der vorzeitigen Todesfälle aufgrund der Feinstaub, NO2- und Ozonbelastung in der Schweiz auf 3500, 270 sowie 350 vorzeitige Todesfälle [9].

Saubere Luft ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit. In diesem Sinne kommt den Ärztinnen und Ärzten eine wichtige Aufklärungsrolle auf individueller, aber auch struktureller Ebene zu. Einerseits können sie ihre Patienten und Patientinnen beraten und beispielsweise zu körperlicher Aktivität an weniger belasteten Strassen raten oder, in Bezug auf Lärm, zur Wahl des Schlafzimmers weg von stark befahrenen Strassen raten. Die Meinung der Fachleute in Gesundheitsfragen kann ebenfalls politische Entscheidungsprozesse beeinflussen und Massnahmen zur Belastungsreduktion stützen.