10 Jahre Swiss TPH: Integration vom ISPM ins damalige Tropeninstitut

11.05.2020

Vor genau 10 Jahren wurde das ehemalige Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Medizinischen Fakultät der Universität Basel ins Schweizerische Tropeninstitut (STI) integriert. Seither stehen am Swiss TPH auch Themen wie Luftverschmutzung, Lärm oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Lungenkrankheiten und Diabetes weit oben auf der Agenda für die Forschung, Lehre und Dienstleistungen. Dank diesem Schritt ist das Swiss TPH heute in einer einmaligen Position, gesamtheitliche Lösungen für die gesundheitlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzubieten. Ein Gespräch mit den zentralen Protagonist*innen Nino Künzli, Nicole Probst-Hensch und Martin Röösli.

Das Swiss TPH arbeitet vermehrt an der Schnittstelle zwischen Infektionskrankheiten, chronischen Krankheiten und Umweltfaktoren in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. (Fotos: Swiss TPH)

Herr Künzli, Sie haben gemeinsam mit dem Direktor emeritus des damaligen Schweizerischen Tropeninstituts (STI), Marcel Tanner, vor 10 Jahren die Integration des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) ins STI vollzogen. Was wurde seither erreicht?

Nino Künzli: "Durch die Integration liessen sich zwei unterschiedliche Traditionen und Expertisen unter einem Dach vereinen. Das STI war insbesondere stark auf dem Gebiet der Erforschung von Armutskrankheiten wie der Malaria, Bilharziose oder der Schlafkrankheit sowie der Gesundheitssystemforschung in afrikanischen Ländern. Das ISPM wiederum war besonders bekannt für seine Public Health-Forschung im Bereich der chronischen Erkrankungen und ihrem Zusammenhang mit Schadstoffen in der Umwelt, verbunden mit dem Aufbau von Biobanken in der Schweiz als auch von Gender und Gesundheit. Durch das Zusammengehen sind wir heute in einer strategisch einmaligen Lage, die globalen Gesundheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts anzugehen."

Weshalb ist das wichtig?

Nino Künzli: "In vielen Ländern des globalen Südens schreitet die sogenannte 'epidemiologische Transition' schnell voran. Die Gefahr der klassischen Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids besteht weiterhin. Doch Dank erfolgreicher Forschung können diese Infektionskrankheiten erfolgreicher behandelt werden. Die Menschen werden älter und die Krankheitslast wird zunehmend dominiert von den Folgen hoher Umweltbelastungen, einer Verwestlichung des Lebensstils und von nichtübertragbaren Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Diese chronischen Erkrankungen stellen in Zukunft – trotz COVID-19 – die grössten Herausforderungen für die weltweiten Gesundheitssysteme dar."

Werden die klassischen Infektionskrankheiten von chronischen Krankheiten einfach ersetzt?

Nicole Probst-Hensch: "Nein. Aber wir stehen vor der neuen Herausforderung von Ko-Morbiditäten und des demographischen Alterns. Herkömmliche und neue Infektionen treten zusammen mit chronischen Erkrankungen auf, was viele neue Fragen aufwirft. Am Beispiel des Coronavirus, das vor allem die alte Bevölkerung gefährdet, wird dieser ungesunde Mix gut ersichtlich. Ein bekanntes Beispiel im Bereich der Ko-Morbiditäten ist die Interaktion von HIV und Tuberkulose. Wenig erforscht ist z. B. der Einfluss von Malaria oder parasitärer Wurmerkrankungen auf einen erhöhten Blutdruck oder Diabetes oder der Einfluss extremer Luftverschmutzung auf die Verbreitung und Therapie von Infektionskrankheiten."

Das Swiss TPH arbeitet nun vermehrt an der Schnittstelle zwischen Infektionskrankheiten, chronischen Krankheiten und Umweltfaktoren im globalen Süden. Wie aber hat sich die Integration auf den Forschungsstandort Schweiz ausgewirkt?

Martin Röösli: "Das Swiss TPH kann dank der Integration vor 10 Jahren heute seine Mission noch besser erfüllen. Und zwar die Gesundheit von Bevölkerungen lokal, national und international zu verbessern. Bezogen auf den lokalen und den nationalen Kontext ist das Institut heute in der Schweiz eine wichtige Adresse. Die unter der Leitung von Nicole Probst-Hensch aufgebaute SAPALDIA (Swiss Cohort Study on Air Pollution and Lung- and Heart Diseases in Adults)-Biobank ist die erste und grösste Biobank von Gesunden in der Schweiz. Sie bildet die Basis für den von Nicole Probst-Hensch über Jahre initiierten Aufbau der nationalen Grosskohorte und Biobank – der Swiss Citizen Cohort. Die in der SAPALDIA Biobank gespeicherten Daten erlauben neue Erkenntnisse zur Voraussage und Prävention von chronischen Krankheiten, wie Diabetes oder Alzheimer, zu Ko-Morbiditäten im Alter und zur optimalen Steuerung des Gesundheitswesens."

Schwerpunkt chronische Erkrankungen und der Aufbau von Biobanken

Parallel zur Integration des ISPM ins STI, wurde im Herbst 2009 auch Nicole Probst-Hensch von Zürich nach Basel berufen. Marcel Tanner und Nino Künzli konnten sie und ihr Team von der Vision des Swiss TPH überzeugen. Mit ihr als Hauptverantwortlichen der SAPALDIA-Studie wurde die Forschungsagenda am Swiss TPH um den Schwerpunkt 'chronische Erkrankungen' und die Expertise im Biobanking erweitert. "Fundierte Antworten darauf, welche Risikofaktoren uns langfristig krank machen sind nur durch Langzeitstudien und Biobanken möglich", sagt Nicole Probst-Hensch.

Seit knapp 30 Jahren sammelt SAPALDIA komplexe Lebens- und Gesundheitsdaten von fast 10’000 Menschen aus allen Landesteilen der Schweiz. Dank dieser Langzeitstudie wissen wir z. B. um den Einfluss von Rauchen, Ernährung, Bluthochdruck oder Stress auf die Gesundheit im Alter. Diese Resultate haben die Schweizer Gesundheitspolitik stark beeinflusst. Die Studie hat entscheidend dazu beigetragen, dass in der Schweiz heute ein strenger gesetzlicher Grenzwert für Feinstaub gilt. International sind die Resultate in die Luftqualitäts-Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeflossen. "In der Schweiz und im übrigen Europa hat sich die Luftqualität in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert", sagt Probst-Hensch. Heute beeinflussen die Forschungsresultate der SAPALDIA und anderen Langzeit-Studien wesentlich die Regulierung von Verkehrslärm mit. Doch für viele Länder in Asien, Osteuropa oder in Afrika ist eine Regulierung der Umweltrisiken noch keine Priorität. Trotz der 'epidemiologischen Transition' bleibt der Forschungsschwerpunkt auf Infektionskrankheiten.

Um die Erforschung der nichtübertragbaren Krankheiten zu fördern investierten das Swiss TPH und sein Partnernetzwerk in den letzten Jahren in den Aufbau von Langzeitstudien im Kosovo, auf dem afrikanischen Kontinent, in Südostasien und in Südamerika.

Know-How-Transfer nach Westafrika

Zum Beispiel im westafrikanischen Côte d’Ivoire. Neulich baute das Swiss TPH unter der Leitung von Probst-Hensch dort gemeinsam mit dem Centre Suisse de Recherches Scientifiques (CSRS) unter der damaligen Leitung von Bassirou Bonfoh die erste Biobank im ländlichen Afrika auf. Mit der Langzeitstudie in Taabo, einem Forschungsstandort des CSRS, wird dort der Zusammenhang zwischen Diabetes, Bluthochdruck und Infektionskrankheiten ergründet. Die im Rahmen der Studie ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte untersuchen und behandeln Patienten. Proben werden nach allen Regeln der Kunst gelagert und mit Kühltransportern in die nationalen Biobank des Institut Pasteur in die Wirtschaftsmetropole Abidjan gebracht.

Die ersten Studienresultate zeigen: Malaria und Fieber beeinflussen den Bluthochdruck. Um chronische Erkrankungen verlässlich zu diagnostizieren und um zuverlässige epidemiologische Daten zu erheben empfiehlt es sich, eine Diagnose nur an fieberfreien Patienten vorzunehmen. "Das belegt aber noch nicht, dass Leute mit hohem oder tiefen Blutdruck später ein grösseres Risiko für eine Malariainfektion entwickeln", präzisiert Probst-Hensch. Genau für diese Fragen braucht es Langzeitdaten und Proben aus den Kühltruhen in Abidjan.

Umweltforschung in Südafrika

Auch Südafrika entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt der Umweltforschung des Swiss TPH. Das Land ist seit 2007 ein strategischer Fokus der wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit der Schweiz. Die Universität Basel und das Swiss TPH fungieren als sogenanntes 'Leading House' für Afrika südlich der Sahara. In diesem Rahmen wurde vor fünf Jahren der gemeinsame Lehrstuhl für Umweltforschung und globale Gesundheit an der Universität von Kapstadt (Aquiel Dalvie) und am Swiss TPH (Martin Röösli) gegründet. "Neben aller Schönheit gibt es in Südafrika viele Gelegenheiten, die ganze Breite von Umweltexpositionen zu studieren", sagt Röösli, Professor für Umweltepidemiologie am Swiss TPH.

Die grosse gesellschaftliche Ungleichheit bringt auch grosse Unterschiede in der Umweltqualität mit sich. So ist beispielsweise wenig bekannt, dass Menschen in den ärmeren Townships die enorme Lärmbelastung als ein wichtiges Problem wahrnehmen. "Wir versuchen den Einfluss des Lärms auf die Gesundheit der Township-Bewohner zu erforschen", sagt Röösli. Gerade von den lauten Generatoren, von Strassen oder von den Menschen selbst geht eine grosse Lärmbelastung aus.

Neben dem Lärm fokussieren Röösli und sein Team auf die gesundheitlichen Folgen von Pestizid-Rückständen. So hat eine Forschergruppe jüngst Rückstände von 53 verschiedenen Pestiziden in grossen Landwirtschaftsgebieten im Western Cape nachgewiesen. Eine Langzeit-Kohorten-Studie widmet sich nun den Konsequenzen dieses Risikos für das Verhalten und die körperliche Entwicklung von Schulkindern.

Ein Modell für andere afrikanische Länder

Bis jetzt beschränkte sich gemeinsame Umweltforschung des Swiss TPH und Aquiel Dalvie von der Universität von Kapstadt auf Erarbeitung epidemiologischer Grundlagen. In einer nächsten Projektphase geht es darum, mit gezielten Interventionen die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Dafür muss aber auch die Politik in die Pflicht genommen werden. Keine einfache Sache in einem Land wie Südafrika.

Während sich die politischen Behörden in der Schweiz für ihre Entscheidungen auf wissenschaftliche Resultate stützen, ist die Nähe zwischen Wissenschaft und Politik in Südafrika nicht so eng. "Es wird eine grosse Herausforderung sein, die Behörden Südafrikas mit ins Boot zu holen und unsere Erkenntnisse umzusetzen", sagt deshalb auch Röösli. In welchem Masse das gelingt, wird sich später weisen. Doch bereits jetzt ist klar, dass die Forschungsarbeiten des Swiss TPH und der Universität von Kapstadt wichtige Erkenntnisse für andere afrikanische Länder bereithalten.

"Das Land hat in Bezug auf seine ökonomische Entwicklung einen Vorsprung im Vergleich zu anderen Ländern südlich der Sahara. In ein paar Jahren werden sich darum auch in anderen afrikanischen Ländern Fragen nach den gesundheitlichen Auswirkungen durch Pestizide, Lärm, Luftschadstoffe, Klimawandel oder elektromagnetischer Strahlung noch dringlicher stellen", sagt Röösli. "Um diese Probleme mit limitierten Ressourcen effizient angehen zu können, wird es wichtig sein, gemeinsam neue und unkonventionelle Lösungen zu entwickeln."

Dass hier das Swiss TPH aktiv beitragen kann, liegt nicht zuletzt an der erfolgreichen Integration des ehemaligen ISPM der Medizinischen Fakultät der Universität Basel ins STI vor nun schon 10 Jahren.

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