COVID-19 hat nicht nur einen Einfluss auf die körperliche Gesundheit, sondern belastet bei vielen Menschen auch das Gemüt. Heute, am 10. Dezember 2020, findet in der ganzen Schweiz der Aktionstag zur Stärkung der psychischen Gesundheit in Zeiten von Corona statt. Nicole Probst-Hensch, Leiterin des Departements Epidemiology and Public Health am Swiss TPH, spricht im Interview darüber, was die Forschung beitragen kann und was sie für ihre eigene psychische Gesundheit tut.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf unsere psychische Gesundheit aus?
Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass der Stresslevel und Depressionen in der Bevölkerung zugenommen haben. Den Gründen dafür gehen wir mit unserer Studie COVCO-Basel nach. Wir untersuchen, ob insbesondere ältere Menschen sich einsam fühlen, oder alleinstehende Eltern mit der Organisation des Lebensalltages überfordert sind. Wir prüfen, ob die Arbeitsunsicherheit, insbesondere bei stark betroffenen kleinen Unternehmen, ein weiterer Punkt ist, der die Menschen belastet. Es gibt aber sicher auch Leute, die Angst haben, das Haus zu verlassen, sei es eine diffuse Angst vor einer Ansteckung oder weil sie zur Risikogruppe gehören. Ein weiterer Aspekt, der noch zu wenig angeschaut wird, ist die Stigmatisierung und Ausgrenzung. Muss beispielsweise eine Person im Tram husten, weil sie Asthma hat, setzen sich die Leute woanders hin.
Welche Bevölkerungsgruppe kämpft am meisten mit psychischen Probleme durch COVID-19?
Ich gehe davon aus, dass es sicher nicht nur die ältere Bevölkerungsgruppe betrifft. Kinder und junge Erwachsene leiden ebenfalls unter den Corona-Massnahmen. So wird beispielsweise eine ganze Generation von Studierenden um ihr Studentenleben gebracht. Wir schauen auch an, welche Rolle der soziale Status spielt. Denn es hängt sicherlich von den Lebensumständen ab, wie man sich mit der aktuellen Situation arrangieren kann, ob man beispielsweise in die Zweitwohnung in die Berge fahren kann oder die ganze Zeit zuhause in einer kleinen Wohnung sitzt.
Es werden Massnahmen ergriffen, um Fallzahlen einzudämmen, die Überlastung von Spitälern zu vermeiden und vulnerable Gruppen zu schützen. Geht dabei der Aspekt der psychischen Gesundheit etwas vergessen?
Wir wissen noch nicht, welche längerfristigen Konsequenzen die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen hat. Kommt die Impfung und ist sie erfolgreich, um die Epidemie in den Griff zu bekommen, ist es in der nächsten Phase wichtig, dass wir schauen, ob es Leute gibt, die langfristig psychische Schäden von der Epidemie davontragen. Dies hängt stark von der Resilienz ab. Von Studien aus Ruanda und anderen ehemaligen Krisenländern wissen wir, dass es Leute gibt, die gut über solche Krisen hinwegkommen, andere dagegen nicht. Weitere Forschung auf diesem Gebiet und Unterstützung für diese Personen sind deshalb wichtig.
Was sollte man tun, wenn man merkt, dass einem die Krise sehr zu schaffen macht?
Man sollte frühzeitig anfangen, auf sich selber zu hören, bevor man sich und seine Familie an die Grenzen des Abgrunds bringt. Es braucht jetzt vielleicht alles ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Man sollte nicht zu lange warten und sich nicht scheuen, professionelle Hilfe zu holen. Eine psychische Erkrankung ist genauso eine Krankheit wie eine Infektion. Es gibt viele Angebote, auch telefonisch oder online.
Wie kann man seine psychische Gesundheit stärken?
Gerade in der Weihnachtszeit, die vielleicht etwas ruhiger ist als sonst, kann man sich darauf besinnen, wer und was einem guttut und sich Zeit dafür nehmen. In die Natur gehen und Sport treiben helfen der psychischen Gesundheit. Jemand anderem etwas Gutes tun, tut auch einem selber gut. Vielleicht wieder einmal einen Brief schreiben oder jemanden zu einem gemeinsamen Spaziergang auffordern, wenn man merkt, dass sich diese Person aus dem Umfeld zurückzieht. Die Corona-Krise ist auch eine Chance, um die positiven Aspekte herauszugreifen. Längerfristig sollten wir uns überlegen, was wir am eigenen Lebensstil nachhaltig ändern wollen. Will ich weiterhin quer durch die Welt von einem Ort zum anderen reisen, oder auch mal in der Nähe Ferien machen? Was ist mein persönlicher Beitrag im Bereich des Klimawandels?
Was machen Sie selber für Ihre psychische Gesundheit?
Ich fahre immer mit dem Velo ins Büro. Ich mache mit Arbeitskolleginnen und Kollegen auch mal eine Besprechung bei einem Spaziergang statt über Zoom. Ich schaue mir schöne Filme an und pflege vermehrt telefonischen Kontakt mit Freunden im Ausland. Und ich nehme mir Zeit für meine Kinder und meinen Mann.
Was kann die COVCO-Studie beitragen?
Wir schauen die kurz- und langfristigen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden an. Als Umweltepidemiologen untersuchen wir zudem, welchen Einfluss das Umfeld, beispielsweise das Wohnumfeld oder das städtische Umfeld, auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben. Über diesen Aspekt weiss man erst wenig. Wichtig ist auch: unsere Forschung ist eine Zweibahnstrasse. Wir erhalten sehr viele Rückmeldungen von Studienteilnehmenden, daraus ergeben sich weitere Forschungsthemen.
Aktionstag zur psychischen Gesundheit in Zeiten von Corona
Heute, 10. Dezember, findet in der ganzen Schweiz der Aktionstag «Darüber reden. Hilfe finden.» statt. Er soll in Zeiten des Coronavirus zur Stärkung der psychischen Gesundheit beitragen. Es handelt sich um eine gemeinsame Aktion des Bundesamts für Gesundheit (BAG) mit den Hilfsorganisationen Dargebotene Hand, Pro Juventute, Pro Senectute, Pro Mente Sana, Caritas und Schweizerisches Rotes Kreuz sowie vielen weiteren Akteuren.
Contact
Nicole Probst-Hensch
Professor, PhD (Pharmacy and Epidemiology), MPH
Head of Department, Group Leader, Head of Unit
+41612848378
nicole.probst@swisstph.ch
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